Christian Thiel / VDE
06.11.2023

MikroSystemTechnik Kongress 2023

In Dresden trafen sich 550 Teilnehmer aus Politik, Industrie und Forschung zum MikroSystemTechnik Kongress 2023, der in diesem Jahr unter der Leitung von Chairman Prof. Dr. Hubert Lakner stand. Die Keynotes thematisierten Nachhaltigkeit, Technologiepolitik und Nachwuchsförderung.

Im Zeichen von technischer Souveränität und Green ICT

Im Fokus des »Silicon Saxony« stehen zumeist die großen Halbleiter-Fabs von Bosch, Infineon, GlobalFoundries, X-Fab und Renesas (ehem. ZMD). Doch insgesamt gehört viel mehr dazu: Das Mikroelektronik-Ökosystem Sachsens umfasst mit allen Zulieferern, universitären und außeruniversitären Forschungseinrichtungen 2500 Unternehmen, bei denen 70.000 Menschen arbeiten. Bereits jeder dritte in Europa gefertigte Chip kommt heute aus Sachsen. Mit der im Bau befindlichen zusätzlichen Fab von Infineon – einer 5-Milliarden-Euro-Investion – und der Ansiedelung von TSMC wird dieser Anteil weiter steigen.

Kaum noch Produkte ohne mikrotechnologische Sensorik: Zusammenarbeit von Industrie, Bund, Landesregierungen und Forschungseinrichtungen gefragt

VDE Präsident Alf Henryk Wulf betonte in seiner Begrüßung, wie wichtig Halbleiter für den Standort Deutschland sind. Auch in konservativen und weniger elektronikaffinen Branchen wie z.B. der Landwirtschaft gibt es kaum noch Produkte ohne mikrotechnologische Sensorik. Ziel der Bundesregierung und der EU ist, wieder mehr Halbleiterfertigung nach Europa zurückzuholen. Wulf unterstrich, dass Investitionen in Produktionsstandorte günstige Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung benötigen. All dies seien Aufgaben, die Unternehmen nicht allein lösen können. Sie benötigen die Zusammenarbeit von Industrie, Bund, Landesregierungen sowie Bildungs- und Forschungseinrichtungen. Angesichts der vielen Herausforderungen der derzeitigen Weltlage sagte Wulf: »In Krisen haben wir uns immer bewährt. Fortschritt, Erfindung, Marktwirtschaft sind unsere DNA – das bremst uns nicht aus, sondern treibt uns an.«

Mikroelektronik – vielen Strömungen ausgesetzt

Prof. Dr. Sabine Döring, Staatssekretärin im BMBF, zeigte auf, wie ihr Ministerium die aktuelle Lage einschätzt. Sie machte vier Strömungen aus, die auf die Mikroelektronik wirken:

  • eine gedämpfte, rückläufige Globalisierung
  • starkes Nachfragewachstum nach Mikroelektronik durch den KI-Boom
  • Zukunft des Mooreschen Gesetzes: Strukturverkleinerung kommt an Grenzen, Chiplets gewinnen an Bedeutung
  • Der Fachkräftebedarf übersteigt den demografischen Nachwuchs. Ergänzende Fachkräftegewinnung aus dem Ausland ist nötig.

In diesem Zusammenhang strebt das BMBF an, die Ausbildung für MINT-Berufe attraktiver zu gestalten und die Schüler stärker dafür zu motivieren. Das BMBF wolle Ausbildung und Weiterbildung verbessern, sagte die Staatssek­retärin, ohne allerdings Einzelheiten zu nennen. Bereits konkret umgesetzt ist ein »Green ICT Award«, den das BMBF zusammen mit der Forschungsfabrik Mikroelek­tronik ausschreibt. »Gerade Nachhaltigkeit und CO2-Reduktion sind Themen, die die Motivation junger Menschen stärken,« betonte Prof. Döring.

Dr. Rutger Wijburg, Infineon; Oliver Schenk, Sächsische Staatskanzlei; Alf Henryk Wulf, VDE;  Prof. Sabine Döring, BMBF

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Mikroelektronik als kritische Infrastruktur

Konkreter ausgeführt wurden die Positionen und Aktivitäten des Ministeriums am zweiten Konferenztag von Dr. Stefan Mengel, Referatsleiter für Elektronik, autonomes Fahren und Supercomputing im BMBF. Er benannte recht klar, wie sich die »Zeitenwende« und geopolitischen Veränderungen auch auf die Politik des BMBF auswirken.

Früher war Forschungspolitik vorwiegend Industriepolitik, diente der langfristigen Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen und der Stärkung Deutschlands im internationalen wirtschaftlichen Wettbewerb. Schon seit 2018, mit dem ersten strategischen Förderprojekt der EU-Kommission IPCEI – Important Projects of Commom European Interest – wurde die Mikroelektronik als Bestandteil kritischer Infrastruktur erkannt, die unabdingbar für das Funktionieren der Gesellschaft ist. Diese Bedeutung hat sich weiter gesteigert. Heute, so Dr. Mengel, ist die Mikroelek­tronik ein Baustein, um die technologische Unabhängigkeit, die politische Handlungsfähigkeit und so auch die Souveränität des Landes zu sichern. 

Angesichts der massiven Subventionen der USA und Asiens in ihre Halbleiterindustrien ist die Bildung eines Gegengewichts nur auf EU-Ebene möglich. Um hier mitspielen zu können, hat das BMBF die »Forschungsfabrik Mikroelektronik« geschaffen. Sie ist keine physische Fabrik im Sinne eines großen zentralen Standorts, sondern ein Zusammenschluss aus elf Fraunhofer- und zwei Leibniz-Instituten, die über das gesamte Bundesgebiet verteilt sind. Mit diesem Gebilde kann die verteilte deutsche Forschungslandschaft im innereuropäischen Wettbewerb mit den großen belgischen und französischen Forschungseinrichtungen CEA-Leti und IMEC als eine Einheit auftreten. So hofft man, im Rahmen des EU Chips Act im nächsten Jahr ein Förderprojekt für eine Pilotlinie zu gewinnen.

Fachkräftemangel: Das Studium hat ein schlechtes Image

Das Thema Fachkräfte und Nachwuchs zog sich durch den gesamten Mikrosystemtechnik-Kongress und tauchte immer wieder in Keynotes und Vorträgen auf. Der VDE hatte dazu erstmals eine Session »Neue Wege im Recruiting« ins Programm aufgenommen. In dieser Session gab Michael Schanz vom VDE einen Ausblick auf eine Studie zur Ausbildung und Nachwuchsgewinnung, die im Dezember 2023 erscheinen soll. Sie deckt auf, dass junge, technikaffine Menschen mitunter völlig falsche Vorstellungen von der Tätigkeit von Elektroingenieuren haben. Eine Befragung unter 1000 Teilnehmern ergab, dass der Beruf des Elektroingenieurs u. a. mit Kabelverlegen und Installationsarbeiten assoziiert wird. Chipdesign, Sensorik, Internet der Dinge und künstliche Intelligenz kamen indes nicht vor. Insofern schlug Michael Schanz Marketinginitiativen zur besseren Imagebildung des Ingenieurberufs vor, vor allem auch in sozialen Medien. Zu den Aktivitäten des BMBF sagte er, das Ministerium fördere nur MINT allgemein, da gehe die Elektro­technik unter, zumal Schüler eher an IT und Informatik interessiert seien. So war sein Appell intern an den VDE gerichtet, denn »Marketing kostet Geld«.

Als großes Problem identifiziert die Studie die Abbruchquote von 65 % unter E-Technik-Studierenden. Selbst Studienanfänger, die gut in Mathematik sind, erlebten am Anfang des Studiums einen »Mathe-Schock«. Ihnen werde nicht vermittelt, wofür sie die Lerninhalte später benötigen. Die befragten Studienteilnehmer sehen »Durchhaltevermögen« als wichtigste Eigenschaft für Erfolg im Elektrotechnikstudium. Das ist eine Ohrfeige für die didaktische Qualifikation der Lehrenden und die curriculare Ausgestaltung des Studiums an den Universitäten. Schulz: »Die Studierenden extrapolieren die Erfahrung am Anfang auf die gesamte Dauer des Studiums.« Er regte an, schon früher praxisbezogene Lehrveranstaltungen einzuführen und z. B. Mathematik nicht von Mathematikern lehren zu lassen, »die sich an mathematischer Sprache und ausgeklügelter Beweisführung ergötzen«, sondern stärker praxisorientiert von Ingenieuren.

Intensiver fachlicher Austausch

Auch wenn dieser Bericht die Industriepolitik in den Mittelpunkt stellt – der größte Teil des MikroSystemTechnik Kongresses diente dem fachlichen Austausch. Der Fokus der Konferenz lag auf Nachhaltigkeit, Green IT und Next Generation Computing. Dr. Rutger Wijburg, COO von Infineon, machte dem Plenum klar, dass Nachhaltigkeit und wirtschaftliches Wachstum kein Gegensatz sind. Aus verschiedenen Marktstudien erwartet Infineon im Zeitraum 2020 bis 2030 weltweit eine Steigerung der installierten Solarleistung um den Faktor 7, bei der Windkraft eine Steigerung der Ausbeute um den Faktor 4, bei E-Autos eine Steigerung der jährlichen Verkaufszahlen um den Faktor 11 und bei IoT-verbundenen Geräten eine Steigerung um den Faktor 3,5 von 2020 bis 2025.

Dr. Stefan Finkbeiner, CEO Bosch Sensortec, gab einen faszinierenden Einblick an die vorderste technologische Front von Sensorik und Mikroaktorik. So arbeitet Bosch an einem Projektionssystem für Smart Glasses, das Informationen in Brillengläser einblendet, z. B. für Navigation oder Fitnessdaten. Nicht-invasive, unblutige Messung des Blutzuckers ist ein weiteres Gebiet: Heute ist schon eine unblutige Messung mittels Implantaten möglich. Zukünftig will man auch darauf verzichten, was weitere Erleichterungen für die Behandlung von Diabetes bedeuten würde. Bei Drucksensorik ist Bosch heute in der Lage, Höhenunterschiede im Zentimeterbereich zu detektieren. Die kapazitiven Membranen der Gassensoren sind so empfindlich, dass sie – skaliert auf ein Fußballfeld – um die Dicke von zwei Haaren ausschlagen würden. All das wird von Bosch ausschließlich in Deutschland gefertigt.

COSIMA-Team SolemSense

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Preisverleihungen an Schüler, Studierende und junge Wissenschaftler:innen

Gleich drei Preisverleihungen fanden im Rahmen des Mikrosystemtechnik-Kongresses statt:

INVENT a CHIP
Bei dem vom VDE und der Uni Hannover ausgerichteten Schülerwettbewerb INVENT a CHIP ging es darum, einen FPGA so zu programmieren, dass er Solartracker steuert, die Solarzelle also optimal zur Sonneneinstrahlung ausrichtet. Über 1000 Teilnehmende hatten in der ersten Runde mitgemacht. Nach einer Vorauswahl erhielten 25 Schüler die Prototyping-Boards und Softwarewerkzeuge und wurden zu einem Schulungscamp eingeladen. Zehn Preisträger erhielten Preisgelder zwischen 500 und 2000 Euro sowie einen 28-nm-Waferpokal von GlobalFoundries.

COSIMA
Beim Studierendenwettbewerb COSIMA gibt es keine Vorgabe bezüglich es Themas. Neben einem funktionierenden Prototyp, der den Nutzen von Mikrosystemtechnik für Alltagsanwendungen aufzeigt, werden ein Marketingkonzept sowie die Sponsorensuche zur Finanzierung des Projekts verlangt. Den ersten Platz erlangte ein Team vom Karlsruher Institut für Technologie mit dem Projekt »StraightUp«, eines Sensorsystems, das aus Schulterbewegungen Haltungsprobleme erkennt, bevor es zu dauerhaften Schäden kommt.

Auf dem zweiten Platz landete ein Team der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg mit einer energieautarken Gartensonde, die die Feuchtigkeit in drei verschiedenen Bodentiefen sowie die Menge der Sonneneinstrahlung misst und per LoRA an eine Station überträgt.

Den dritten Platz bekam ein Team der Technischen Universität München, das eine mit Drucksensoren ausgestattete Schuheinlage entwickelt hat, mit der sich frühzeitig Fehlbelastungen und Fehlstellungen erkennen lassen.

Green ICT Award
Die Forschungsfabrik Mikroelektronik organisierte in Zusammenarbeit mit BMBF und VDE den »Green ICT Award«, bei dem Bachelor- und Masterarbeiten ausgezeichnet werden, die ressourcenschonende Lösungen enthalten. Die Projekte der drei Preisträger hatten eines gemeinsam: Den Energiebedarf von Rechen- oder Kommunikationssystemen zu senken. Das Spektrum umfasste Analysen, um Rechenzentren klimaneutral zu machen, die Modellierung der Leistungsaufnahme von drahtlosen Funksystemen und die Entwicklung eines hocheffizienten, bidirektionalen DC-DC-Konverters für kapazitive Lasten.


Dieser Bericht ist zuvor erschienen bei 'elektronik.net' ; Autor: Joachim Kroll 

MikroSystemTechnik Kongress 2023 - Impressionen